Vom höchsten Pass in die Sümpfe Argentiniens (01.05. - 19.05.2018)
Die Live-Band spielt bis am Morgen um 4 Uhr. Es hört zwar kein Mensch zu, das ist den Musikern aber egal. Sie ziehen ihr Programm mit voller Hingabe durch! So kommen auch wir etwas später aus den Federn. Heute ist Tag der Arbeit und alle Geschäfte haben geschlossen. Alle? Nein! Natürlich öffnen die überlebenswichtigen Metzgereien ihre Tore wie immer. Freie Tage werden von allen Argentiniern für Grillfeste genutzt und so muss natürlich für Nachschub gesorgt sein. Auch wir schlagen beim Metzger zu und verlassen das schöne Cachi über die Ruta 40. Auf den letzten paar hunder Kilometer nach Norden ist die Quarenta noch sehr ursprünglich, ohne Asphalt und oft nur einspurig. Sie führt durch Schluchten, über hohe Pässe und durch weite Hochebenen. Das wollen wir uns nicht entgehen lassen. Zwischen riesigen Kakteen kochen wir eine frische Bolognese-Sauce, geniessen den Teller Pasta und holen weit ab der Zivilisation eine grosse Mütze Schlaf nach.
Unser GPS zeigt 4'960 Meter Höhe an, der Abra del Acay ist aber offiziell "nur" 4'895 Meter hoch und damit der höchste Pass Argentiniens. Die Landschaft ist einmal mehr gewaltig schön. Hinter dem Pass tauchen wir ein in die Ausläufer des Altiplanos, der hier in Argentinien gemäss der Sprache der Quechua "Puna" genannt wird. Wir fühlen uns zurückversetzt nach Bolivien. Die Bevölkerung ist meist indigen und immer wieder treffen wir auf Lama und Alpáca Herden. Wir kreuzen eine uralte Bahnlinie, die früher hoch über die Anden geführt hat. Heute ist der "Tren de las Nubes" eine Touristenattraktion und fährt einmal pro Woche von Salta hoch in die Anden. Der Rest der Strecke ist stillgelegt. Das Viadukt "La Polvoria" ist die Hauptattraktion. Die Spannbrücke aus Stahl, liegt auf 4'200 Metern Höhe, ist 224 Meter lang und 63 Meter hoch. Wir fahren unter dem Viadukt hindurch und folgen weiter der Quarenta durch die Hochebene.
Es ist kalt heute Morgen. Wir übernachten auf 3'800 Meter und messen minus fünf Grad Celsius. Erst die wärmenden Sonnenstrahlen holen uns unter der Bettdecke hervor. Ja, es ist wild hier oben, dafür ist die Suche nach einem Übernachtungsplatz wieder sehr einfach. Wenn wir nicht mehr weiterfahren wollen, biegen wir einfach in das nächste trockene Bachbett ab und finden nach kurzem einen einsamen Stellplatz mit Garantie auf geniale Aussicht. Wichtigstes Prädikat ist freie Sicht nach Osten, damit die Sonnenstrahlen am Morgen schon früh zu uns reichen. In Susques kaufen wir in kleinen Läden das nötigste ein und ziehen weiter. Die Salzlagune Olaroz beeindruckt. Als wir über den Hügel fahren öffnet sich eine grosse weiss-rote Fläche vor uns. Genial! Wir fahren den ganzen Tag auf über 4'000 Metern Höhe. Offenbar hat die Paarungssaison der Alpácas und Lamas Früchte getragen. Wir sehen unheimlich viele Kleintiere, die fröhlich herumspringen und einfach zum Knuddeln aussehen!
Eigentlich folgen wir ja der Quarenta. Heute scheint die Hauptverkehrsachse durch Argentinien uns aber etwas im Stich zu lassen. Wir fahren mehr auf einem Fussweg, als auf einer Piste. Nach ein paar Kilometern konsultieren wir nochmals unsere elektronischen Hilfsmittel. Es ist alles OK, die Quarenta führt tatsächlich hier durch und Umdrehen macht eh keinen Spass. So fahren wir der Spur nach weiter, bis wir, einige Wasserdurchfahrten später, wieder auf die Hauptroute treffen. Erst da schauen wir die Karten der Touristeninfo an, wo die Quarenta einen anderen Verlauf hat. Elektronische Hilfsmittel sind halt auch nicht perfekt... Die Laguna de Pozuelos zählt zum UNESCO Weltnaturerbe. Wir campen in der nähe der riesigen Wasserfläche und fahren am nächsten Morgen ganz nahe ran. Über 25'000 Flamingos sollen hier leben. Wir sehen sie leider nur aus der Ferne. Dafür freuen wir uns über die kleinen Vicuñas, die spielend über das Gras rennen.
Die geliebten Anden lassen uns nicht los. Wir sind nun so weit in den Norden Argentiniens vorgedrungen, dass Bolivien nur noch ein Steinwurf entfernt wäre. Da wollen wir aber gar nicht hin, sondern eher nach Osten. So drehen wir eine Schlaufe und fahren nach Humahuaca. Wir stellen Rhino am Mittag auf dem Hauptplatz ab und lernen Christin und Thomas kennen. Die rege Diskussion führen wir in einem gemütlichen Restaurant weiter und kaum sehen wir uns um, brechen schon die Abendstunden ein. Aus der Ortsbesichtigung wird heute wohl nichts mehr, das verschieben wir auf morgen. Kurz vor dem Eindunkeln finden wir einen Platz ausserhalb des Ortes mit tollem Blick auf die farbigen Berge im Osten.
Neben den farbigen Bergen ist die Hauptattraktion von Humahuaca eine Statue des heiligen Franziskus, die jeden Mittag am Kirchenturm erscheint. Franziskus ist heute etwas früh dran und überrascht die wartenden Besucher schon ein paar Minuten vor Mittag. Die passende Musik startet dafür dann erst ein paar Minuten nach dem Mittag. So gleicht sich das Ganze wieder aus, viva Argentina! Der Ort gefällt uns sehr gut. In den engen Gassen hat es viele kleine Restaurants und an unzähligen Ständen verkaufen die Indigenen Stoffwaren und Kunsthandwerk. Auf dem Markt decken wir uns mit Früchten und Gemüse ein und ziehen dann weiter.
Eine weitere Kostprobe der Farben in der Quebrada de Humahuaca erhalten wir in Uquía. Wir übernachten am Startpunkt der Wanderung und machen uns in den Morgenstunden bei optimalen Lichtverhältnissen auf den Weg. Lange wandern wir zwischen roten Felsen eine immer enger werdende Schlucht hoch. Erst auf den letzten Metern des Wanderweges öffnet sich der Blick auf die farbigen Steine. Wir sind begeistert!
In Purmamarca treffen wir etwas unverhofft auf die Gufligers. Die armen mussten wochenlang in Chile auf Ersatzteile warten und sind nun im Schnellzugstempo nach Norden gereist. Es gibt viel zu erzählen seit dem letzten Treffen und so ist auch dieser schöne Abend leider viel zu schnell vorbei. Purmamarca, das Sieben-Farben-Dorf, liegt wunderschön eingebettet in farbiger Felsenlandschaft. Von einem Aussichtspunkt geniessen wir den Blick über das Dorf und die Steinkulisse in den Morgenstunden. An einem der vielen Verkaufsstände ersteht Nadine einen Umhang aus Alpacawolle. Wir geniessen noch etwas den schönen Ort, bevor wir uns von den Gufligers wieder verabschieden und weiterziehen.
Yungas nennen sich die Ausläufer der Anden. Die trockenen Yugas befinden sich im Westen, während die feuchten Yungas sich in den Ostausläufern befinden. Durch solch ein Gebiet führt uns unser Weg über die RP9 nach Salta. Der abrupte Wechsel von wüstenähnlicher Landschaft in einen satten und grünen subtropischen Nebelwald überrascht uns. Die Luft ist feucht und gegen Abend setzt sogar Nieselregen ein. Wir campen an einem See und treffen hier zum dritten Mal auf Yvonne und Mike. Die beiden Berner sind mit dem Fahrrad durch Südamerika unterwegs. Wieder verbringen wir einen gemütlichen Abend mit anderen Reisenden.
Auf dem Weg in Richtung Salta bessert sich das Wetter wieder. Neben einem Grosseinkauf und Geld wechseln müssen wir dringend noch einige Reparaturen durchführen. Zum einen haben wir uns unseren zweiten platten Reifen eingefahren und seit einigen Tagen fahren wir mit einem Stossdämpfer weniger durch die Gegend. Einer der in Santiago neu montierten Stossdämpfer ist gebrochen. Der Mechaniker in der Werkstatt damals hat wirklich ganze Arbeit geleistet und die Stossdämpfer verkehrt herum moniert. Die Belastung war zu gross und hat wohl zum Bruch geführt. Wir finden hier in Salta aber Ersatz und können beruhigt weiterfahren. Wir quartieren uns auf dem Camping Comunal ein. Betina und Christian sowie Christin und Thomas sind auch da. Salta trägt den Beinamen "La Linda" (die Schöne). Das koloniale Zentrum ist wirklich toll und wir geniessen einen Tag in Stadtzentrum und in der Fussgängerzone. Besonders beeindruckend sind die Kathedrale sowie die Klosterkirche San Francisco.
Unsere Freunde Cel und Dani haben uns die letzten Wochen schon gewarnt: "Irgendwann gehen auch euch die Anden aus!" Heute ist es soweit. Wir verlassen unsere geliebten Anden und wollen eine neue Facette Südamerikas entdecken, die grosse grüne Fläche. Zum Start fahren wir in den Parque Nacional El Rey. An zwei Tagen sind wir die einzigen Besucher und das bei bestem Wetter. Viel ist nicht zugänglich, da nach der Regenzeit noch grosse Gebiete überschwemmt sind. Auf dem Campingplatz besuchen uns viele Vögel und Schmetterlinge. Wir unternehmen eine Wanderung bis unsere Schuhe komplett durchnässt sind. Dann wollen wir doch noch weiter hineinfahren in den Park, ein geschlossenes Tor hindert uns aber an unserem Vorhaben. Mit etwas Überzeugungsarbeit händigt uns dann die Guardaparque den Schlüssel aus. Natürlich mit der Bemerkung, dass uns dann niemand aus dem Schlamm holen kommt. Die ersten Kilometer sind noch gemütlich, bevor das Terrain immer weicher wird. In einem Waldstück geht es steil bergab und Rhino kommt eigentlich mehr quer rutschend als fahrend vorwärts. Zu sehen gibt es ausser grünem Wald nicht viel und so drehen wir auf halber Strecke wieder um. Bei besagter Stelle steigt Nadine aus um sich die Bergauffahrt aus der Distanz anzuschauen. Im ersten Anlauf bringt Sergio aber Rhino hoch und wartet mit einem breiten Grinsen im Gesicht bis Nadine nachkommt.
Ein Ameisenbär ist das einzig Aufregende, das es von der Fahrt durch den Chaco zu berichten gibt. Wir sehen ihn nur kurz über die Bahngleise gleich neben unserem Nachtplatz huschen. Zwei Tage fahren wir durch die Fläche an Baumwoll- und anderen Plantagen vorbei. Über eine Erdpiste erreichen wir dann den Parque Nacional Chaco. Auch hier ist wegen den anhaltenden Überschwemmungen nach der Regenzeit nur ein kleiner Teil des Parks offen. Der Park ist aber gratis und so nutzen wir ihn vor allem als willkommenen Schlafplatz.
Über eine riesige Brücke queren wir den Rio Paraná und folgen ihm dann bis nach Bella Vista, wo wir auf dem kommunalen Campingplatz übernachten. Ein erstes Mal vermissen wir die trockene Luft aus den Anden. Das Wetter ist zwar auch hier schön und die Temperaturen überraschend angenehm, aber die hohe Luftfeuchtigkeit ist einfach ungewohnt. Vor der Stadt Mercedes erreichen wir ein argentinisches Heiligtum. Im ganzen Land sahen wir am Strassenrand immer wieder kleine und grössere in roter Farben gehaltene Gedenkstätten. Gewidmet sind sie Gauchito Gil. Viele Geschichten und Legenden gibt es zu diesem sagenumwobenen Mann. Gauchito Gil soll für viele Wunder verantwortlich sein. Vor allem gilt er aber als Robin Hood Argentiniens, der von den Reichen genommen und den Armen gegeben hat. Die katholische Kirche weigert sich strikt den Gauchito als Heiligen anzuerkennen, was seiner Bekanntheit bei der Bevölkerung aber nicht schadet. Im Gegenteil, seine Anhängerschaft ist riesig. Gauchito Gil wurde nördlich der Stadt Mercedes hingerichtet. Darum wurde hier ein Schrein mit einer Statue errichtet, welcher jährlich von hunderttausenden Anhängern besucht wird. Um die Gedenkstätte hat sich ein riesiger Markt gebildet, auf dem man Kerzen, Bänder, Statuen und jegliche erdenkliche Utensilien in rot zur Huldigung von Gauchito Gil kaufen kann. Wir machen Halt an diesem Ort um uns das von der Nähe anzusehen. Lange halten wir es nicht aus. Die Besuchermassen und ihre Auswirkungen haben das Gelände zu einem veritablen Dreckloch werden lassen. Es stinkt fürchterlich und die Menschen die den Parkplatz belagern sehen auch nicht gerade vertrauenserweckend aus.
Über eine lange und ruppige Erdpiste erreichen wir die Esteros del Iberá. Das Gebiet wird auch Mini-Pantanal genannt. Es handelt sich um ein Überschwemmungsgebiet, das in der Regenzeit mit Wasser gefüllt wird und in der Trockenzeit langsam abfliesst. Die Tierwelt ist unglaublich vielfältig. Schon auf der Hinfahrt stoppen wir immer wieder wegen Capybaras, Störchen und Jabirus auf und neben der Strasse. In Colonia Carlos Pellegrini lassen wir uns auf dem schönen Campingplatz nieder und unternehmen am nächsten Tag eine Bootstour auf der Laguna Iberá. Unzählige Vögel, Kaimane, Capybaras und Sumpfhirsche begeistern uns auf dem Ausflug. Natürlich gäbe es hier auch eine der grössten Schlangen der Welt zu sehen. Wir sind uns nicht schlüssig, ob es nun gut oder schlecht ist, dass wir der Anaconda nicht begegnet sind. Im Besucherzentrum des Nationalparks sehen wir uns einen recht informativen Film an und unternehmen noch einmal einen Spaziergang zu den Kaimanen. Jetzt am Nachmittag lassen sie sich gerne von der Sonne aufwärmen, liegen ruhig da und zeigen ihre Zähne.
Ein langer Fahrtag bringt uns in die Provinz Misiones. Nach den vielen Tagen in der Fläche wird es endlich wieder etwas hügeliger und so auch etwas abwechslungsreicher. Am Strassenrand werden Früchte verkauft und wir fahren an grossen Mate-Plantagen vorbei. Hier wird also das ganze Kraut angepflanzt, das die Argentinier für ihr tägliches Aufgussgetränk verwenden!
Es blitzt und donnert. Ein Gewitter reisst uns am Morgen aus dem Bett. Zum Glück wärt es nur kurz. Wir können trocken zusammenpacken und nach San Ignacio weiterfahren. Dort besuchen wir eine, der best erhaltenen Jesuitenreduktionen Argentiniens. Wir machen uns ein Bild davon, wie die Jesuiten im 17. und 18. Jahrhundert hier zusammen mit den Guaraní gelebt haben, bevor sie vertrieben wurden. Im grösseren Umkreis gibt es in Argentinien, Brasilien, Uruguay und Paraguay noch etliche weitere dieser Reduktionen. Die meisten sind heute von Wäldern überwuchert. Nur wenige wurden ausgegraben und restauriert. Für einmal entscheiden wir uns für ein Mittagessen im Restaurant. Draussen schlägt das Wetter wieder um und heftiger Regen setzt ein. Ein Blick auf unsere Wetterapp verheisst nichts gutes. Es soll den ganzen Nachmittag und die Nacht so durchregnen. Kurzentschlossen nehmen wir uns ein günstiges Zimmer in einem Hotel. Morgen soll ja schon wieder die Sonne scheinen.
Tatsächlich hat sich das Wetter beruhigt und wir besuchen in Ruhe die beiden Jesuitenreduktionen von Loreto und Santa Ana. Das Ticket von San Ignacio gilt auch für diese Ruinen. Hier wurde noch nicht so viel Restaurationsarbeit geleistet. Die Anlagen erinnern mehr an einen parkähnlichen Wald mit alten Steinmauern, als an eine Klosteranlage. Dank der Informationen in den Museen am Eingang, können wir uns aber gut vorstellen, wie die Menschen hier gelebt haben.
Posadas ist unsere vorläufig letzte Station in Argentinien. Wir wollen morgen den Rio Paraná nach Paraguay überqueren. Nach über 5 Monaten in Chile und Argentinien wartet wieder einmal ein neues Land auf uns. Wie immer haben wir keinen festen Plan für die kommenden Wochen. Wir lassen uns überraschen!
publiziert am 21.05.2018